Zum Brutgeschehen des Weißstorches (Ciconia ciconia) im südlichen Saalekreis
Ein Bericht von unserem Vereinsmitglied Arnulf Ryssel
Um die Wende zum 20. Jahrhundert und früher sollen in den Auedörfern nach mündlichen Überlieferungen noch mehrere Paare des Weißstorches gebrütet haben. Der vorerst letzte Brutnachweis wurde 1941 auf einer strohgedeckten Scheune in Lössen erbracht. Von 1942 bis 65 war kein Horstpaar mehr im Gebiet ansässig.
1956 kam es in Wallendorf-Wegwitz auf einem Wagenrad, welches auf einem niedrigen Ziegeldach angebracht war, zu einem Brutversuch. Die zwei Eier waren jedoch unbefruchtet. Erst 1965 wurde ein Nest auf dem Mühlschornstein in Wallendorf angenommen, in dem die Altvögel bis 1975 28 Jungstörche aufzogen. Danach verfiel das Nest.
In Kötzschau werden die Brutdaten seit 1985 erfasst. Vorher haben wohl schon Störche dort gebrütet. Sie siedeln auf einem Brennerei-Schornstein des ehemaligen Rittergutes. Als die Steine des Schornsteinkopfes bröckelten, finanzierte der Landkreis die Ausführung der Reparaturarbeiten durch die Auszubildenden der Firma DÜBAU Bad Dürrenberg. Zusammen mit dem Storchenbeauftragten brachten sie die neue Nestunterlage auf die Esse, die schon im nächsten Frühjahr angenommen wurde. Nach einem „Storchenkampf“ im Jahre 2005 blieb ein toter Altstorch auf dem Nest liegen. Die Reste konnten erst im Winter beseitigt werden.
Bereits 1962 errichteten die Merseburger Ornithologen auf einer Scheune in Schkopau-Kollenbey eine Nestunterlage. Sie wurde bis 1983 nicht angenommen. Deshalb erfolgte der Bau einer neuen Nisthilfe auf einem Traktoren-Schuppen, die die Weißstörche bereits 1984 besetzten. Mit Unterbrechungen wurden hier etliche Jungstörche groß, bis der Giebel abzubrechen drohte. Der örtliche Stromversorger sponserte einen Betonmast mit Nestunterlage sowie die Kosten für dessen Aufstellung. Seitdem zogen hier verschiedene Storchenpaare (einige Vögel können anhand einer Markierung mit individuell beschrifteten Ableseringen unterschieden werden) ihre Jungen auf. 2016 bezog eine erst zweijährige beringte Störchin, die am Kyffhäuser aus dem Ei schlüpfte, das Nest. Sie überwinterte (nachweislich durch Ringablesungen) in zwei Wintern auf einer Mülldeponie bei Madrid in Spanien und zog nach dem Wechsel des Partners, der ebenfalls markiert war, auch 2020 in Kollenbey drei Jungvögel auf.
Als im Jahre 1994 ein Storchenpaar den alten Brennerei-Schornstein in Luppenau-Tragarth okkupierte, brachte der Grundstückseigentümer gleich eine Unterlage aus Reisig auf die Esse, obwohl dort noch Reste eines Eisengeländers vorhanden waren. Diese wurden erst nach der Brutzeit abgebaut. Das Paar zog drei Jungstörche auf. Auch in den Jahren danach gab es gute Bruterfolge.
Als es 2002 zu Beginn der Brutzeit zu einem Storchenkampf um das Nest kam, wurde ein Altstorch am Flügel verletzt und konnte nicht mehr abheben. Mit Unterstützung der Unteren Naturschutzbehörde wurden der Storch und ein unversehrtes Ei zum Storchenhof Loburg gebracht. Der Flügel wurde geheilt und aus dem Ei schlüpfte im Brutschrank ein Storchenküken. Es wurde einige Zeit aufgezogen und dann einem Storchenpaar bei Salzwedel „untergeschoben“. Mit seinen „Geschwistern“ wurde es flügge und flog im Herbst ins Winterquartier. Im Jahre 2007 flog ein Brutstorch nicht nach dem Süden, sondern überwinterte in der nahen und weiteren Umgebung. Gelegentlich übernachtete er auf dem Storchennest. Als der Partner im März 2008 ankam, brüteten beide auf dem Nest zwei Junge aus. Zwischen 2012 und 2015 verliefen die Bruten nicht erfolgreich.
2018 angelte der Nachbar an seinem Teich und legte die gefangenen kleinen Fische in eine Schüssel. Ein Altstorch flog auf die Wiese und stibitzte einen Teil des Fanges aus der Schüssel, was sich fast täglich wiederholte. Das hatten die drei Jungstörche vom Nest aus beobachtet. Als sie flügge waren, standen sie alle drei hinter dem Angler und warteten auf ihren Anteil. Der Storchenbeauftragte musste die Fütterungen beenden lassen, damit die Vögel nicht den Anschluss zum Flug nach dem Süden verpassten.
2019 wehte ein Windstoß einen der vier fast flüggen Jungstörche vom Nest auf die Dorfstraße. Er wurde in einen Garten geleitet, verbrachte die Nacht in einem Stall, flog tags darauf auf ein Schuppendach und übernachtete dort. Am nächsten Tag schaffte er es auf einen Dachfirst am Nebengebäude, rutschte aber in das Schneegitter. Unverletzt flog er am dritten Tag wieder auf das Nest zu seinen drei Geschwistern.
In Bad Dürrenberg-Goddula versuchte ein Storchenpaar um die Jahrtausendwende auf einem Schornstein der alten Möbelfabrik vergeblich ein Nest zu errichten. Die Mitarbeiter des nahen Bildungszentrums für Land- und Hauswirtschaft (für teils behinderte Jugendliche) brachten auf ihrem ehemaligen Heizungs-Schornstein eine Nestunterlage auf. 2001 brütete dann erstmals ein Storchenpaar auf dieser Esse. Fast alljährlich flogen auch Junge aus. Zum „Tag der offenen Tür“ der Einrichtung wird auch ein kleines Storchenfest gefeiert. Die Auszubildenden wählen unter sich eine „Storchenprinzessin“, die mit ihrem Gefolge kostümiert über das Gelände flaniert.
In Raßnitz hat der Eigentümer eines Grundstückes im Jahre 2000 auf einem Schuppen ein langes Rohr mit einer Storchennest-Unterlage installiert. 2001 kam ein Storchenpaar erst am 15. Mai an, brütete aber nicht mehr. Auch im Folgejahr gab es keine erfolgreiche Brut. 2004 wurde ein Jungstorch flügge. Dann klappte es erst wieder 2010 mit einer erfolgreichen Brut. 2012 verunglückte ein Altstorch gegen Ende der Brutzeit an einem Elektromast tödlich. Der Partner schaffte es aber, die drei Jungvögel alleine zum Ausfliegen zu bringen! Es dauerte wohl etwas länger als normal. Als 2018 ein weiter Storch am selben Mast durch Stromschlag getötet wurde, (kein Brutstorch) hat man den Mast „entschärft“. 2020 war die Brut nicht erfolgreich, weil ein weiteres Paar über zwei Wochen ständig störte und sogar in Nestnähe auf einem Mast übernachtete.
Nachdem in Burgliebenau ein Gittermast nicht mehr für Fernseh-Antennen gebraucht wurde, bauten eine ansässige Familie und die Ornithologen ein Storchennest, welches auf dem Mast angebracht wurde. Gleich im nächsten Jahr 2005 erschien ein Storchenpaar auf dem Nest und brütete Jungstörche aus. Das jetzige Männchen ist inzwischen 11 Jahre alt, brütete seit 2012 und ab 2014 alljährlich mit einer Partnerin Jungvögel aus. 2020 befanden sich drei Jungvögel im Storchennest.
In Langeneichstädt wurde 2007 auf dem Heizungs-Schornstein der alten Kaufhalle eine Nestunterlage errichtet, nachdem sich im Vorjahr dort Störche aufgehalten hatten. 2008 zog ein Paar einen Jungstorch auf. Bis zum Jahr 2014 wurden insgesamt neun Junge flügge. 2015 kam nur ein Storch zum Nest und 2016 wartete ein Altstorch bis nach Mitte Juni vergeblich auf einen Partner bzw. eine Partnerin. Der Ort liegt auf der Querfurter Platte, einem fruchtbaren Agrargebiet. Grünland gibt es nur auf dem Sportplatz und einer schmalen Bachniederung. Die Altvögel mussten zur Nahrungssuche bis ins 8 km entfernte Unstruttal fliegen. Im Ort plünderten sie Goldfischteiche und bekämpften an Terrassenfenstern ihr Spiegelbild. Ein Jungstorch, der sich beim ersten Ausflug verletzte, wurde in den Storchenhof Loburg gebracht und dort gesund gepflegt. Zusammen mit anderen geretteten Vögeln entließ man ihn ins Winterquartier.
Nachdem 2012 in Luppenau-Lössen die Mittelspannungsleitung von einem 20 kV-Freileitungsmast abgebaut wurde, fand sich im August ein Storchenpaar ein und übernachtete auf diesem. Der Eigentümer der ortsansässigen Kfz-Werkstatt machte den Vorschlag, dort eine Storchennest-Unterlage aufzubringen. Der Netzbetreiber stellte den Mast zur Verfügung. 2013 kam das Paar wieder und zog auf der errichteten Nisthilfe vier Jungvögel auf. Seitdem klappt es alljährlich mit dem Nachwuchs. Vater war immer das gleiche beringte Storchenmännchen. Im Frühjahr 2017, als er noch allein war, tauchte das ebenfalls markierte Weibchen vom Kollenbeyer Brutpaar auf dem Nest auf, blieb zwei Tage und war dann wieder in Kollenbey. Es zog dort mit dem angestammten Partner zwei Junge auf. Stammen diese nun von zwei Vätern ab? - Fremdgehen kommt laut Literatur auch bei Störchen vor!
Das Innere der Storchen-Reisig-Burg dient auch sechs bis sieben Haussperlingspaaren als Nistplatz.
Im Jahre 2012 hielten sich zwei Weißstörche auf dem Gelände der VNG Gasspeicher GmbH, Untergrund-Gasspeicher Bad Lauchstädt-Teutschenthal auf. Die Mitarbeiter errichteten ein Storchennest auf einem ausgedienten 20 kV-Mittelspannungsmast. 2013 dann zog das Storchenpaar einen Jungstorch auf. Im folgenden Jahr war nur noch ein Storch längere Zeit anwesend. Das Betriebsgelände liegt mitten in einer Ackerflur. Auf dem Flugweg in das 5,5 km entfernte Nahrungsgebiet im Saaletal müssen die Störche durch eine dichte Reihe Windenergieanlagen fliegen. Möglicherweise ist der Partner des Storches dort ums Leben gekommen.
Auf einem noch aktiven Schornstein in Lochau an der alten Mühle siedelte sich 2016 ein Storchenpaar an. Es wurde bereits gebrütet, als der Schornsteinfeger den Abbau des Nestes aus Sicherheitsgründen verfügte. Die vorhandenen vier Eier wurden von Dr. Michael Kaatz mit zum Storchenhof Loburg genommen. Aus einem Ei schlüpfte im Brutschrank ein Jungstorch, wurde aufgezogen und im Herbst ausgewildert. Im darauffolgenden Jahr trug das Storchenpaar in kurzer Zeit viele Zweige auf einen ebenfalls noch aktiven Schornstein im Ort zu einem Nest zusammen. Die Feuerwehr musste auch dieses Nest ohne Gelege entfernen. 2018 baute das Paar wieder ein schmales Nest auf der Kante der Esse an der alten Mühle unter Zuhilfenahme des letzten Steigeisens und zog zwei Jungvögel auf. Ein zwischenzeitlich aufgestellter Nest-Mast wurde lediglich zur Gewinnung von Nistmaterial angeflogen. Er konnte mittels Spenden von 12 privaten Storchenfreunden, dem NABU RV Merseburg-Querfurt e.V. sowie dem Landkreis finanziert und errichtet werden. Erst 2019 wurde das Nest auf dem Mast von diesem? Storchenpaar angenommen. Drei Jungvögel sind ausgeflogen.
Noch eine interessante Begebenheit:
Aus einem Zeitungsartikel vom 24. Juli 1935 erfahren wir, dass das Ammoniak-Werk (die Leuna-Werke) im Juli von der Vogelwarte Rossitten (heute: Rybatschi/ Ostpreußen) vier noch nicht flügge Jungstörche kommen ließ. Sie wurden von „Vater Müller“ auf einem extra angebrachten Nest auf der Werks-Scheune in Leuna-Göhlitzsch bis zum Flüggewerden mit Fischen gefüttert. Nach dem Ausfliegen hielten sie sich noch einige Zeit auf den Wiesen an der Alten Saale auf, um dann ins Winterquartier abzufliegen.
An allen aktiven Storchennestern im südlichen Saalekreis informiert eine Tafel „Storchenchronik“ über die jährlichen Ankunftsdaten des ersten und zweiten Storches sowie über den Bruterfolg aktuell nach der Brutzeit.
Weißstorch-Brutergebnisse der letzten fünf Jahre im südlichen Saalekreis
Jahr | Horstpaare ohne Junge | Horstpaare mit Jungen | Ausgeflogene Jungvögel |
2020 | 2 | 7 | 24 |
2019 | 1 | 8 | 21 |
2018 | 2 | 6 | 14 |
2017 | 2 | 6 | 14 |
2016 | - | 8 | 20 |
zusammengestellt von Arnulf Ryssel